Israel wird beim Eurovision Song Contest 2026 in Wien antreten – das beschloss gestern die Generalversammlung der European Broadcasting Union (EBU) in Genf. Als Reaktion darauf ziehen sich mehrere Länder aus dem Wettbewerb zurück: Die Sender aus den Niederlanden (AVROTROS), Spanien (TVE), Irland (RTÉ) und Slowenien (RTVSLO) verzichten auf eine Teilnahme, während Belgien und Island in den kommenden Tagen über ihr weiteres Vorgehen entscheiden wollen.
EBU-Präsidentin Delphine Ernotte Cunci in einer Aussendung: „Das Ergebnis dieser Abstimmung zeigt das gemeinsame Engagement unserer Mitglieder, Transparenz und Vertrauen in den Eurovision Song Contest, das größte Live-Musikereignis der Welt, zu schützen. Ich möchte allen Mitgliedern für ihre sorgfältigen, respektvollen und konstruktiven Beiträge während der heutigen Sitzung und im gesamten Konsultationsprozess dieses Jahres danken. Diese Gespräche haben zu wichtigen Änderungen des Regelwerks des Eurovision Song Contest geführt und stellen sicher, dass er ein Ort der Einheit und des kulturellen Austauschs bleibt.“
Niederlande, Spanien, Irland und Slowenien steigen aus!
In einem offiziellen Statement des Senders AVROTROS erklärte man: „Die Entscheidung ist uns alles andere als leichtgefallen. Der Eurovision Song Contest hat für uns einen enormen Wert, doch kultureller Austausch darf nicht um jeden Preis stattfinden. Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben für uns klare Grenzen aufgezeigt. Grundlegende Werte wie Menschlichkeit und Pressefreiheit wurden massiv verletzt und sind für uns nicht verhandelbar. Zudem hat die politische Einflussnahme im letzten Jahr verdeutlicht, dass die Unabhängigkeit und der verbindende Anspruch des ESC nicht mehr selbstverständlich sind.“
Stellungnahme des spanischen Fernsehsenders RTVE: „Die Situation im Gazastreifen, trotz des Waffenstillstands und der Zustimmung zum Friedensprozess, sowie Israels Instrumentalisierung des Wettbewerbs für politische Zwecke machen es zunehmend schwierig, den Eurovision Song Contest als neutrale Kulturveranstaltung aufrechtzuerhalten… die Führung der EBU und des Eurovision Song Contest hat„ eine der größten internen Spannungen in der Geschichte der Organisation verursacht… Wir sind der festen Überzeugung, dass es niemals zu dieser Situation hätte kommen dürfen.“ Der Rückzug von RTVE bedeutet zugleich, dass weder das Finale des Eurovision Song Contest 2026 am 16. Mai in Wien noch die beiden Semifinals im spanischen Fernsehen übertragen werden.
In einer Erklärung von irischem RTÉ hieß es: „Nach der heutigen Wintergeneralversammlung der EBU in Genf, auf der Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest 2026 bestätigt wurde, bleibt die Position von RTÉ unverändert. RTÉ wird weder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen, noch wird RTÉ den Wettbewerb übertragen. RTÉ ist der Ansicht, dass Irlands Beteiligung angesichts der entsetzlichen Verluste an Menschenleben in Gaza und der dortigen humanitären Krise, die weiterhin das Leben so vieler Zivilisten gefährdet, nach wie vor unverantwortlich ist. RTÉ ist weiterhin zutiefst besorgt über die gezielten Tötungen von Journalisten in Gaza während des Konflikts und die anhaltende Verweigerung des Zugangs internationaler Journalisten zu dem Gebiet.“
Die Direktorin von slowenischem RTV SLO, Ksenija Horvat, erklärte: „TV Slovenia hat die Debatte auf EBU-Ebene über die Kontroverse um Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest angestoßen. Wir sind der Ansicht, dass die EBU hier eine prinzipientreue und ethische Haltung hätte einnehmen können, und bedauern, dass der Verband, dem wir angehören, dazu nicht in der Lage war. Seit über einem Jahr warnen wir davor, dass wir nicht mit einem Vertreter eines Landes auf derselben Bühne stehen können, das den Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen verübt hat. Wir weisen darauf hin, dass Gaza das einzige Gebiet der Welt ist, in dem die Arbeit ausländischer Journalisten unmöglich ist und in dem Menschen weiterhin unter unerträglichen humanitären und sicherheitspolitischen Bedingungen sterben. Unsere Botschaft lautet: Wir werden nicht am Eurovision Song Contest teilnehmen, wenn Israel dabei ist. Im Namen der 20.000 Kinder, die in Gaza gestorben sind.“
Reaktionen aus Österreich und Deutschland
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann in einem ORF-Interview: „…Es war eine intensive zweistündige Diskussion auf Augenhöhe und wir haben Argumente ausgetauscht und es ist dann abgestimmt worden über die neuen Regularien und das ist mehrheitlich angenommen worden… Wir haben intern diskutiert, haben uns gegenseitig die Argumente angehört voneinander und dann haben wir abgestimmt. Die EBU ist geeint, hat ein starkes Zeichen gesetzt, so ist es in der Demokratie. Da muss man auch akzeptieren, dass es unterschiedliche Meinungen gibt… nun gehen wir alle mit neuen ESC-Regeln in eine positive Entwicklung. Man muss den 10. Dezember abwarten, das ist der Zeitpunkt, wo man weiß, wie viele Länder teilnehmen werden… Was man fix weiß, ist, dass mindestens drei neue Länder dazukommen… finanziell, ja ist das ein Thema, auch das wurde heute diskutiert, ich kann Ihnen aber sagen, sowohl was die EBU betrifft, als auch was den ORF betrifft, das ist handelbar. Wichtig ist anzumerken, es geht ja um Sender und nicht um Länder, es geht ja nicht darum, dass ein Land teilnimmt oder nicht, sondern es sind tatsächlich Künstlerinnen und Künstler, die für öffentlich-rechtliche Sender antreten und insofern freut es mich sehr, weil wir uns schon vorbereiten auf einen tollen Song-Contest im 70. in der Geschichte und da freut es uns als ORF und übrigens auch alle Menschen in Österreich, dass wir diesen Song-Contest ausrichten dürfen.“
Der deutsche Sender SWR: Die ARD hat sich im Rahmen der Abstimmung der heutigen Generalversammlung der EBU aus Überzeugung für die Regelungen zum erweiterten Schutz des Eurovision Song Contest ausgesprochen. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Transparenz, Neutralität und Fairness in den Abstimmungs- und Organisationsprozessen des ESC zu festigen. Wir freuen uns auf die Teilnahme am ESC 2026 als Fest für Kultur, Vielfalt und Zusammenhalt.“
Wien – die Stadt der Rekorde
Wien bleibt in Sachen Song Contest eine Stadt der Rekorde: Als einzige Stadt in der Geschichte des Eurovision Song Contests darf sie gleich zwei Jubiläums-Ausgaben ausrichten – den 60. ESC 2015 und den 70. ESC 2026. Gleichzeitig steht vermutlich der kleinste Contest seit Einführung der beiden Semifinals 2008 bevor. Nachdem der Wirbel um Israels Teilnahme vorerst abgeklungen ist – Belgien und Island müssen ihre Entscheidungen noch treffen – rückt nun wieder das Wesentliche in den Vordergrund: der Eurovision Song Contest selbst.




